Klassisches Portrait – Eher nicht

In den letzten Jahren ist mir immer deutlicher klargeworden, was das Problem mit der heutigen Bilderflut ist: Es gibt zwar immer mehr Bilder, aber immer weniger davon sind wirklich etwas wert.

Wenn Bilder Kalorien hätten, wären wir alle fett. Die meisten Menschen haben heute mehr Bilder von sich als zu jeder beliebigen Zeit in der Geschichte. aber wieviele davon bedeuten einem was? Die Hochzeitsbilder? Bestimmt. Taufe der Kinder? Klar. Abiball der Tochter? auf jeden Fall. Aber davon hat man heut nicht mehr nur 30 sondern eher 1300 Bilder und welches davon ist jetzt, das, was den Unterschied macht?

Bei den vielen Business-Portraits merke ich immer, dass die Leute zwar gewohnt sind, dass man Bilder von ihnen macht, aber sie sind es nicht gewohnt, fotografiert zu werden. Die „Germany’s Next Topmodel“-Fraktion hat eine ganz bestimmte Vorstellung von einem Fotoshoot, die Selfie-Gesellschaft sowieso, der Rest der Menscheit wahrscheinlich auch, und diese Vorstellungen sind nicht unbedingt das, was man sich normalerweise für eine „Portraitsitzung“ wünscht – Stressig, man muss komische Posen einnehmen und nichts ist wriklich natürlich.

Rückenansicht

Es geht auch andersrum

Ich habe daher einen anderen Ansatz entwickelt: das „Personality-Portrait“. Sehr neudeutsch – das muss so aus Werbegründen 😉
Hier geht es darum nicht als Haupfaktor die Zeit (15 Minuten, dann muss das Bild im Kasten sein) sondern den Menschen vor der Kamera zu sehen. Ihn als Person wahrzunehmen und zu verstehen. Dann kommen Bilder raus, die auch gerne als Businessfotos eingesetzt werden können, die aber wesentlich mehr zeigen.

Stefan mit Blaumann-Klamotten

Lachen muss auch nicht sein

Eigentlich ist es ähnlich wie bei der Homoöpathie. Was da hilft, sind nicht wirklich die kleinen Globuli, sondern dass sich jemand mal eine ganze Stunde Zeit nimmt zum Zuhören und so Ratschläge und Ideen entwickeln kann, für die kein Allgemeinmediziner überhaupt die Zeit hätte. Globuli sind dann oft nur noch die Erinnerungshelfer im Alltag.

Haare als Feature im Portrait

Haare als Feature im Portrait

Ich mache auch am liebsten Fototermine die eine Stunde+ dauern. Zuerst erzählt man, dabei erfahre ich etwas über mein Gegenüber und der Stresslevel wird abgebaut. Es gibt Wasser, Kaffee oder Tee und man kann sich ein bisschen aneinander und an die Location gewöhnen. Wenn’s dann losgeht fotografiere ich immer vom Stativ aus. So verstecke ich mich nicht hinter einem schwarzen Kasten und mein Modell sieht mich komplett. Das ist wichtiger für eine entspannte Atmosphäre, als ich lange gedacht habe.

Mann mit Hut

Man(n) muss auch nicht immer in die Kamera gucken

Je nachdem, wie sich das Ganze entwickelt, kann man von einfachen Posen zu immer gelösteren Haltungen (Nicht Yoga! Keine Angst) übergehen. Das macht niemand gerne vor einem völlig Fremden, aber dieses Stadium haben wir dann ja schon hinter uns gelassen. Normalerweise wird viel gelacht.

Ich gebe Hilfestellungen wo ich muss, habe aber keinen festen Fahrplan sondern lasse mich auf jedes Individuum neu ein. Natürlich werden Wünsche besprochen, die ich auch so gut wie möglich umzusetzen versucht (unser Einhorn ist aber leider meistens in Reparatur 😉 )

Visagistin ist im Allgemeinen keine an Bord. Das kann natürlich alles dazu kommen (kost‘ natürlich mehr), im Normalfall ist meine Bildbearbeitung aber so angelegt, dass Make-Up kaum Sinn macht.

Sitzendes Portrait

Das Studio war eine Obstkiste vor einer grauen Wand

Zum Schluss kommt noch eine gute Portion Photoshop dazu. Je nach Modell bearbeite ich die Bilder hin zu einer ganz spezifischen Bildästhetik. Vintage, monochrom, schwarzweiß, Effekte… die Möglichkeiten sind fast uferlos.