Nichts ist so penetrant wie das Klischee!

Das Klischee warf seinen trüben Schatten voraus: Es sollte nach Wien gehen.
Wenn man, was vielen unter uns passieren dürfte, zum wiederholten Male an ein und denselben Ort kommt, gehen einem so langsam die Ideen aus. Die Postkarten sind schon alle fotografiert, die unbekannteren Ecken auch schon besichtigt, Wettervarianten abgehakt, verschiedene Tageszeiten ausgereizt. Was nun?

Erkunde die Möglichkeiten I

Ich fange dann gerne damit an, zu planen, wo ich überhaupt hinkommen werde und die Gegebenheiten dort zu recherchieren. Im Falle dieser speziellen Wienreise war das recht simpel:

1. Bezirk (Zentrum zum Flanieren und Shoppen) – tendenziell eher langweilig, Zentralfriedhof – neu, für mich also spannend, Abhängig vom Wetter: diverse Kirchen oder Parks.

Eine kurze Internetrecherche ergab mehrere öffentliche Events: Ein Rudelwettlauf für irgendeinen wohltätigen Zweck, Ein Fressfestival im Stadtpark etc. Solche Anlässe bedeuten für mich normalerweise keine planbaren Motive die man Dritten zumuten kann…aber wer weiß.

Erkunde die Möglichkeiten II

In diesem Schritt versuche ich ein fotografisches Konzept zu finden, dass ich in der Zeit vor Ort umsetzen kann. Für diesen Aufenthalt mit dem geplanten Besuch des Zentralfriedhofs war das Themenkreis naheliegend: Tod, Morbidität, Vergänglichkeit.

Versuche deine Ideen in der Realität zu erkennen.

Was ist schon Realität…nur ein Fehler in der Matrix.

Wien ist schwierig. Eine tolle Stadt, aber im Zentrum beherrscht von K&K-Folklore und internationalem Massentourismus. Vielleicht ist aber darin eine Chance auf Bilder zu sehen. Die Touristen als verschwommene Geistergestalten die sich durch eine kafkaeske Szenerie bewegen… das hätte was.

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Kafka in Wien 1

Die Umsetzung

Experimentieren war angesagt.

Unschärfe durch Fokussierung – hat nicht geklappt. Die völlig kontrastlosen Bilder ließen zu wenig konkretes übrig, das als Ankerpunkt für eine Restwiedererkennung hätte dienen können.

Unschärfe durch Kamerabewegung mit langer Belichtungszeit. Deutlich besser. Viele Versuche gingen daneben, die Bilder waren zu verwischt, nicht verwischt genug, schräg verwischt, komisch verwischt, scharf (wie auch immer), belanglos…Aber es gab ein paar, die Potenzial hatten.

Um die wenigen Bildern, die die Auswahl überstanden hatten, noch näher an meine Vision heranzubringen, musste noch die Farbe weg. Selbst ein unscharfes Wien ist noch zu bunt, fröhlich, diesseitig.

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Kafka in Wien 2

Mittels ungehemmten Gradationskurveneinsatz und einer Teiltonung kam ich an die Farbigkeit die mir vorschwebte.

Darüber legte ich noch die Struktur eine zerkratzten Metallplatte. Der Effekt ist einer alten Fotoplatte, bzw. einer unsanft behandelten Radierplatte nicht unähnlich. Der schwarze Rand sorgt für Halt und gibt weitere Assoziationsmöglichkeiten mit analogen Techniken. Digital aufgenommene Bilder müssen nicht unbedingt digital wirken.

Man kann sich vorstellen, das viele solcher Motive, konventionell aufgenommen, unsäglich belanglos wirken würden. Alltagstrivialitäten ohne Interpretationsspielraum.

Neulich gelesen und gleich geklaut: „Ein gutes Bild schenkt dem Betrachter einen Gedanken und verführt ihn zu weiteren.“

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Kafka in Wien 3